Tubeless-Reifen bieten im Vergleich zum klassischen Reifen-Schlauch-System viele Vorteile: Weil im Reifen kein Schlauch walkt, rollen sie leichter und deshalb schneller. Selbst bei geringerem Luftdruck, was wiederum Komfort und Grip verbessert. Zudem sind sie extrem pannensicher, da keine Durchschläge drohen und die eingefüllte Dichtmilch kleinere Löcher innerhalb weniger Radumdrehungen verschließt.

Trotzdem hat die Technologie am Rennrad einen schweren Stand: Bei der letzten RB-Leserbefragung gaben gerade mal sechs Prozent der Befragten an, auf dem Rennrad tubeless unterwegs zu sein, die überwältigende Mehrheit setzt auf die klassische Lösung mit Schlauch. Kein Wunder: Die Technologie hat sich über Jahrzehnte bewährt und bietet mittlerweile ebenfalls sehr hohen Pannenschutz bei geringem Rollwiderstand. Und die notwendigen Handgriffe – Reifen aufziehen, Schlauch einlegen, aufpumpen – beherrschen viele Rennradler längst im Schlaf. Kurz: Das klassische System aus Reifen und Schlauch funktioniert bereits so gut, dass für viele keine Notwendigkeit besteht, Tubeless auszuprobieren – selbst wenn inzwischen viele Neuräder mit tubeless-kompatiblen Laufrädern kommen und ein Umstieg meist ohne hohe Umrüstkosten erfolgen könnte. Das Hauptargument gegen Tubeless ist nach wie vor oft die ungewohnte Handhabung: das Abdichten der Felge, das Hantieren mit Dichtmilch und, vor allem, das schwierige Aufziehen der oft stramm sitzenden Reifen.

Neustart dank ETRTO?

Zumindest für den letzten Punkt verspricht nun eine entscheidende Neuerung Abhilfe: Seit kurzer Zeit existiert erstmals ein Industriestandard für Tubeless-Rennradfelgen, festgeschrieben von einer Arbeitsgruppe innerhalb der ETRTO.

Ein Erfahrungsbericht

Tubeless heißt schlicht, dass das Rad nur mit Mantel, aber ohne Schlauch gefahren wird. Die Technologie ist bei Autos und Motorrädern seit Jahrzehnten Standard. Vor allem an Mountainbikes wird Tubeless beliebter. Es soll den Rollwiderstand verringern und das Gewicht reduzieren. Die Reifen werden angeblich pannensicherer.

Umstellung dauert wenige Minuten

Es gibt auch Nachteile, aber die kannte ich anfangs nicht aus eigener Anschauung. Die Umstellung beim Händler dauerte wenige Minuten, weil mein Reifen und meine Felge "Tubeless ready" waren - das heißt, sie sind fürs Fahren ohne Schlauch geeignet. Ich gab mein Rad ab, trank einen Kaffee und fuhr schlauchlos weiter. Ich bin ohne weiteren Platten durch den Sommer gekommen. Ich war überzeugt.

Allerdings nur, bis Ende November der Herbst kam. Ich wollte das Gravelbike mit Stollenreifen für den Matsch ausrüsten. Ohne Schlauch kommen solche Reifen noch besser zur Geltung: Auf unbefestigten Wegen kann man sie mit weniger Luftdruck fahren, um Haftung und Komfort zu erhöhen. Dabei braucht man keine Angst zu haben, dass der Reifen auf die Felgenränder knallt, wenn man über einen Stein oder ein Wurzel fährt. Ein Schlauch ginge bei einem solchen Durchschlag kaputt. Tubeless Reifen halten das aus.

Also schnell die alten Reifen runter, neue Reifen drauf und losfahren. So war der Plan.

Das Dichtmilch-Debakel

Ich hätte es besser wissen müssen. Den ersten Fehler, den ich beging, kannte ich bereits: Nach der Arbeit noch rasch eine Sache am Fahrrad erledigen, deren Schwierigkeit schlecht einzuschätzen ist - keine gute Idee. Neue Techniken probiert man am besten in gelassener Gemütsverfassung aus. Die fehlte mir.

Dann beging ich einen klassischen Anfängerfehler. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass schlauchlose Reifen mit Dichtmilch gefüllt sind. Die dichtet Unebenheiten zwischen Reifen und Felge ab und verklebt Stiche und kleinere Schnitte sofort. Die Dichtmilch trocknet mit Zeit, weshalb sie alle drei Monate nachgefüllt werden sollte.

In meinem Reifen war sie noch nicht getrocknet. Und jetzt kann ich sagen: Den Hinweis, dass sich die Milchflecken nur schwer aus der Kleidung entfernen lassen, sollte man ernst nehmen.

Bloß keine Panne unterwegs

Mein Missgeschick stieß mich auf ein wichtiges Argument gegen die neue Technik: Bei einem größeren Riss oder Schnitt, den die Milch nicht abdichtet, muss man mangels Schlauch den Reifen wechseln. Doch was ist, wenn die Panne unterwegs auftritt, wo wohl niemand einen Ersatzreifen dabei hat? Dann hilft es, doch einen Schlauch einzuziehen. Doch dieses Manöver ist eben mit einer Schweinerei verbunden.

Mein Reifenwechsel verlief nach dem Dichtmilch-Debakel erst einmal problemlos. Spezielles Ventil rein, Mantel wieder drauf. Das alles funktionierte ohne Reifenheber, was gut ist, weil man dadurch kleine Beschädigungen ausschließt, die sonst die Dichtigkeit beeinträchtigen können.

Doch es klappte, wie sich zeigen sollte, zu gut. Zwischen Felgenrand und Mantel war ziemlich viel Luft.

In den einschlägigen Internetratgebern wird darauf hingewiesen, dass Tubeless-Reifen am einfachsten mit einem Kompressor montiert werden, wie ihn Fahrradläden haben. Das Gerät füllt die Reifen auf einen Schlag mit viel Luft. Diese drückt den Mantel gegen die Felge, und das Ganze ist dicht. In denselben Ratgebern heißt es, der Effekt lasse sich auch mit einer guten Standpumpe erledigen.

Ich habe eine gute Standpumpe. Aber als ich den Reifen aufpumpen wollte, passierte - nichts. Ich drückte an dem Reifen herum, versuchte ihn näher an der Felge zu platzieren. Die Luft strömte munter am Reifen vorbei. Ich rieb, wie empfohlen, die Reifenwülste mit Seifenlauge ein, damit sie leichter an den vorgesehenen Platz rutschen. Ich drehte den Ventileinsatz heraus, um schnell Luft in den Reifen zu bekommen. Das Ergebnis blieb dasselbe.

Demütigender Gang zum Fahrradhändler

Statt den Reifen in die Ecke zu pfeffern, was angemessen gewesen wäre, probierte ich etwas aus: Ich zog den Mantel wieder von der Felge, entfernte das Ventil, zog einen neuen Schlauch ein und pumpte den Reifen ganz auf. Mit lautem Knacken und Krachen rutschte der Mantel in seine Position. Dort sollte er mindestens 24 Stunden bleiben, um sich dann, nach der Entfernung des Schlauchs, problemlos aufpumpen zu lassen. Er wusste ja nun, wie er sitzen sollte.

Soweit die Theorie. Was passierte, als ich am darauffolgenden Abend den Reifen ohne Schlauch wieder aufpumpen wollte, können Sie sich denken - es hat nicht funktioniert. Innerlich schloss ich mit Tubeless ab. Was soll der Quatsch? Ich bin 45 Jahre lang auch ohne zurechtgekommen.

Aufzugeben war für mich aber keine Lösung. Mir blieb nur ein Ausweg: Ich trat den demütigenden Gang zum Fahrradhändler an. Ich hasse den mitleidigen Blick, den er mir zuwirft, wenn ich eine Sache alleine nicht hinbekomme, diese "Da lassen Sie mal besser den Fachmann ran"-Attitüde. Vielleicht bilde ich mir die Herablassung auch nur ein. Mein Fahrradhändler ist eigentlich sehr nett.

Ein unschlagbarer Vorteil bleibt

Jedenfalls nahm er seinen Kompressor, und drei Sekunden später saß der Reifen wie er sollte. Die Dichtmilch füllte ich zu Hause durch das Ventil ein. Jetzt klappte alles.

Hat sich der Aufwand gelohnt? Ob die Reifen ohne Schlauch wirklich besser rollen, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es ist ein angenehmes Gefühl, auf nicht asphaltierten Wegen mit niedrigem Reifendruck fahren zu können, ohne einen Platten zu befürchten. Dafür nehme ich den Montageaufwand in Kauf, selbst wenn es bedeutet, wegen eines schlichten Reifenwechsels zum Fahrradhändler zu müssen.

An meinem Rennrad und beim Stadtrad werde ich bei der traditionellen Kombination von Schlauch und Mantel bleiben. Durchschläge spielen auf Asphalt keine Rolle.

Die angebliche Gewichtsersparnis von Tubeless-Reifen ist minimal, weil die für eine schlauchlose Montage benötigten Felgen und Mäntel geringfügig schwerer sind als herkömmliche. Rechnet man noch das Gewicht der Dichtmilch und das breitere Felgenband hinzu, verschwindet der Gewichtsvorteil. Vielleicht kaufe ich mir eines Tages einen Kompressor. Dann denke ich noch einmal neu über die Sache nach.

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